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© Hamid Eskandari

Reza Abedini

Libanon

„Wenn eine Idee beginnt, in meinem Kopf Gestalt anzunehmen, nimmt sie gleichzeitig auf dem Papier Gestalt an.“

Reza Abedini wurde 1967 in Teheran geboren. Sowohl sein Vater als auch sein Onkel waren versierte Kalligraphen, und er lernte die Grundlagen des Handwerks als Jugendlicher. Nach seinem Bachelorlabschluss an der Hochschule für bildende Künste in Teheran setzte er seine Studien der Malerei und bildenden Künste an der Kunstuniversität von Teheran fort. Bevor er sich 1987 selbstständig machte, arbeitete er als Designer, Lehrer und Forscher auf den Gebieten der Typografie, des Grafikdesigns und der bildenden Künste. Inzwischen erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter auch den Prinz-Claus-Preis der Niederlande. Seit 1997 ist er Mitglied des Iranischen Designverbandes (IGDS) sowie seit 2001 des Grafik- und Kommunikationsdesignervereins Alliance Graphique Internationale (AGI). Er gehörte zur Jury zahlreicher weltweiter Biennalen. Seine Zeit verbringt er sowohl im Libanon als auch den Niederlanden und arbeitet heute als Professor für Grafikdesign und Bildwissenschaft an der Amerikanischen Universität von Beirut.

„Wenn ich ein negatives Feedback zu einem meiner Plakate von einem westlichen Designer erhalte, fühle ich, dass ich etwas richtig gemacht habe!“, sagt Reza Abedini. Diese Kritik ist ein seltenes Ereignis. Auch wenn Abedini nicht die klassische Sprache des Grafikdesigns verwendet, wie sie hauptsächlich im Okzident anzutreffen ist, ist die Poesie seiner Arbeit universell und wird weltweit gefeiert. Wie einige japanische Grafikdesigner, zum Beispiel Ikko Tanaka, der für ihn eine Quelle der Inspiration darstellte, entwickelte Abedini einen Weg, spezifische Merkmale seiner eigenen Kultur in eine sehr zeitgemäße Ausdrucksweise zu integrieren. Er entwirft Plakate, Buchumschläge und Ankündigungen, um Ereignisse innerhalb der arabischen Welt, doch ebenso in den Niederlanden, Frankreich, Irland, Griechenland oder England zu bewerben. Sein Stil könnte als „persisch“ beschrieben werden – er hat stark kalligrafische Elemente, und der Text – sowohl in arabischer als auch in romanischer Schrift – ist von einer kompakten, gewebten, filigranen Qualität. Seine Farben sind dicht und dabei dezent, mit einer Dominanz der Erdtöne. Aber eines der erkennbarsten Attribute seiner Arbeit ist die ganz besondere Präsenz der menschlichen Figur. In Anlehnung an die Gattung des formellen Porträts, wie es im Iran im 19. Jahrhundert populär war, sind die von ihm gezeichneten Personen grafische Erscheinungen, welche das Blatt mit einer bemerkenswerten Souveränität erfüllen. Die Textur des Papiers ist in irgendeiner Weise in den Werken von Abedini immer präsent, nicht visuell, sondern als Kraftfeld hinter seinen Zeichnungen. Es ist, als wäre die Hand des Designers von einem Wissen geführt worden, das der Berührung, dem Geruch und dem Klang entspringt, welche dem Papier innewohnen.

 

Véronique Vienne

 

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Interview

Véronique Vienne:

Reza Abedini:

Bevor ich auf Ihre Fragen antworten werde, möchte ich sagen, dass der erschreckendste, aufregendste und reizvollste Moment in der visuellen Welt für mich ist, wenn ich ein leeres Blatt Papier wähle und darauf blicke. Für eine Weile bin ich nicht in der Lage, irgendetwas zu tun…

Welche Rolle spielte Papier in der Entwicklung der arabischen Kalligraphie?

Papier hat die Schaffung von vielen iranisch-islamischen Schriften beeinflusst. Ein Beispiel ist die NastaliqSchrift, welche eine weiche und freie Bewegung der Hand erfordert und viele Kreisformen umfasst. Sie wäre nicht auf rauen Oberflächen wie Stein, Holz oder gar Fliesen ausführbar. Später wurden diese neuen Traditionen an andere Nutzungsformen der Kalligraphie weitergegeben, wie bei Mosaiken und Keramik, wobei sie sich ständig gegenseitig beeinflussen.

Achten Sie bei ihrer Tätigkeit darauf, welche Qualität, Textur, Farbe oder Gewicht das Papier hat, auf welchem Ihr Werk gedruckt wird?

Lassen Sie mich von zwei verschiedenen Blickwinkeln aus antworten: vom Gesichtspunkt des bildenden Künstlers  und von jenem des Grafikdesigners. Als Künstler waren seit meinen ersten Studienjahren in einer Hochschule für bildende Künste (ich war damals 14) die Beschaffenheit des Papiers, seine Textur, das Gewicht und sogar seine Kanten von großer Bedeutung für mich. Dies gilt besonders für die Zeit, als ich mein Interesse an der Drucktechnik entwickelte, bei der – wie wir alle wissen – Papier von besonderer Bedeutung ist. Des Weiteren basieren meine neuesten Werke auf einer Vielfalt feiner bzw. handgemachter Papiere, auf denen ich mit schwarzer Tinte oder Acrylfarbe arbeite. In diesem Fall ist Papier nicht einfach nur Teil der Ästhetik eines Objekts; es hat darüber hinaus eine technische Bedeutung. Das Papier muss in der Lage sein, der Tinte, Wasser und sonstigen Zusätzen standzuhalten. Als Grafikdesigner betrachte ich die Art des Papiers, dessen Farbe, Gewicht und seine Textur als ein Hauptbestandteil jedes Projekts. Ich muss dazu erklären, dass in vielen Fällen das Enderzeugnis eines Grafikdesign-Kunstwerks (zum Beispiel ein Plakat) durch die Synthese zahlreicher Elemente entsteht; zum Beispiel eine besondere Art von Druck  auf einer besonderen Art von Papier, das auf eine besondere Weise zugeschnitten wurde. Deshalb ist Papier Teil der Idee eines Grafikdesigns, nicht einfach nur die Oberfläche, auf welche das Design gedruckt wird.

Abedini's notebookTitel - Callidrawing
Designer - Reza Abedini
Veröffentlicht - 2014

Machen Sie Skizzen auf Papier, bevor sie ein Design in die digitale Form umsetzen?Machen Sie Skizzen auf Papier, bevor sie ein Design in die digitale Form umsetzen?

Ja, so gut wie immer. Weil ich es wirklich liebe, zu zeichnen. Wenn das Papier unter meiner Hand eine angenehme Griffigkeit hat, kann ich ein Design oder Konzept viel einfacher und flüssiger umsetzen, oder es kommt mir zumindest so vor. Deshalb habe ich immer eine Vielzahl von Papieren in meiner Nähe, die ich für Notizen oder Skizzen verwende.  Ganz besonders mag ich technisches und Bastelpapier.

Wieviel Prozent Ihrer Werke werden letztendlich auf Papier gedruckt?

Mehr als 90 Prozent meiner Endergebnisse sind nur auf Papier zu sehen, sowohl die Zeichnungen als auch die Grafikdesign-Werke. Wenn eine Idee in meinem Kopf Gestalt anzunehmen beginnt, nimmt sie in den meisten Fällen gleichzeitig auf dem Papier Gestalt an.

Wie stellen Sie sicher, dass Entwürfe, welche auf einem beleuchteten Bildschirm großartig aussehen, auf Papier eine ebenso gute Wirkung haben?

Ich begann meine Arbeit mit Grafikdesign zu einer Zeit, als Computer und Bildschirme nicht existieren! Oder zumindest wurden sie nicht für Design verwendet. Deshalb ist die Tatsache, dass es einen Unterschied zwischen der Vision und dem Endprodukt gibt, ein vertrautes Konzept für mich. Es stimmt, dass die Bilder auf dem Bildschirm manchmal deutlicher und ansprechender sind. Aber wie wir wissen, haben diese Bilder keine Körperlichkeit. Wenn man dies bedenkt, habe ich mehr Respekt vor einem Druck oder einer realen Zeichnung, deren Greifbarkeit. Wir dürfen nicht vergessen, dass jedes dieser sowohl digitalen als auch materiellen Bilder einen anderen Teil von uns anspricht.  Jedes von ihnen kann schön sein, und sie erfüllen einen eigenen Zweck. Gleichzeitig bin ich sehr viel zuversichtlicher, wenn mein Entwurf auf Papier beginnt und auf Papier endet.  Die Möglichkeit, das Papier während der Entwurfs- und Zeichenphase zu berühren, hat eine enorm positive Auswirkung auf meine Seele. Papier zu berühren ist meine Leidenschaft. Das, was berührbar ist, wird ein Teil der Ästhetik des Kunstwerks. Stellen Sie sich zum Beispiel eine Farbpalette aus Pastellfarben vor, die auf strukturiertes Papier gedruckt wurde. Der Tastsinn sowie die visuelle Information tragen dazu bei, die kommerzielle Atmosphäre zu neutralisieren. Oder stellen Sie sich eine Grautonpalette vor, die auf technisches Papier gedruckt wurde, um den Eindruck von etwas Konkretem zu vermitteln. Dies ist eine sehr komplexe Kombination von visueller Kommunikation, Funktionalität und Ästhetik.

 

Wenn Sie sich auf einen Papiertyp festlegen müssen, verlassen Sie sich dabei auf Ihr eigenes Gefühl,  oder wenden Sie sich an Papierspezialisten?

Zu besonderen Anlässen werde ich stets von Spezialisten auf dem Gebiet der Grafikkunst beraten. Manchmal haben sie interessante Empfehlungen zu neuen Materialien und Techniken, jedoch treffe ich die Entscheidung letztendlich selber. Ich nehme kalkulierte Risiken auf mich, wenn ich glaube, dass es sich lohnt.

Ist die Archivqualität von Papier ein Thema, das sie betrifft?

Bei Druckerzeugnissen hat Zeit eine Bedeutung, welche bei digitalen Werken nicht besteht. Materialien können die Zeit aufbewahren und reflektieren. Aus diesem Grund sind wir an einem Studium von Zeichnungen und Aquarellmalereien, z.B. aus dem 19. Jahrhundert, interessiert, da wir sie ebenso als Zeugnisse der Zeit wahrnehmen können.

Wussten Sie, dass der Klang, den Papier beim Zeichnen oder dem Umblättern erzeugt, ein angenehmes Kribbeln im Gehirn auslöst? Hatten Sie jemals die Gelegenheit, die akustischen Eigenschaften von Papier zu ihrem Vorteil zu nutzen?

In meinem letzten Projekt zeichnete ich die Klänge beim Schreiben von Buchstaben wieder und wieder auf. Diese stellte ich dann mit der gezeichneten Darstellung jedes Buchstabens vor. So konnte das Publikum z.B. den Buchstaben «B» betrachten und dessen Klänge hören. Ich habe auch ein paar Projekte in diesem Bereich mit meinen Studenten durchgeführt. Der gesamte Prozess vom Anfang bis zum Abschluss eines Projekts, wie das Berühren des Papiers,  das Hören des Klangs einer Zeichnung, die Kanten des Papiers – all dies ist für mich wie ein religiöses Ritual.

An welchem Punkt ihres schöpferischen Prozesses wird die Wahl des Papiers zum kreativen Tun?

Wie ich bereits sagte, entstehen die Idee und die Materialien für die Idee üblicherweise gleichzeitig. Es kam jedoch vor, dass ich nach einem schöpferischen Prozess meine Meinung änderte und überlegte, dass das Werk auf einem anderen Papier besser aussehen würde. In den letzten Jahren wurde eine bestimmte Art von Papier Teil meiner visuellen Sprache,  so wie ein Schriftsteller bestimmten Worten den Vorzug gibt.

Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem die Wahl des Papiers den entscheidenden Unterschied in einem Ihrer Projekte machte?

Ich glaube, dass es möglich ist, die öffentliche Meinung zu ändern und andere Menschen zu neuen Erfahrungen zu bewegen. Mir fallen da eine Menge Beispiele ein, wie der Druck desselben Kunstwerks auf zwei verschiedene Arten von Papier, wobei zu sehen ist, wie eines mehr Aufmerksamkeit als das andere erhält; oder das Drucken weißer Farbe auf grauen Karton (was nicht einfach ist und stets ein unvollkommenes Resultat erzielt) statt des Drucks grauer Farbe auf weißen Karton, wobei einige Teile weiß belassen werden (um denselben Effekt zu simulieren), was eine vollkommen andere Atmosphäre erzeugt.

Können Sie mir einige Ihrer Lieblingswerke auf Papier von Grafikdesignern nennen, für die Sie Bewunderung hegen?

Ich habe eine persönliche Sammlung zahlreicher alter Plakate und Bücher. Die Beschaffenheit und der Geruch des Papiers und selbst der Druckfarbe berühren mich jedes Mal, wenn ich mich ihnen widme. Die innige Beziehung mit Druckerzeugnissen bereitet ein unendliches Vergnügen.